Biedermann und die Brandstifter : Ein Lehrstück ohne Lehre ; Mit einem Nachspiel

Frisch, Max, 2009
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Medienart Buch
ISBN 978-3-518-39045-0
Verfasser Frisch, Max Wikipedia
Systematik BEL - Belletristik
Schlagworte Drama, Faschismus, Sprache, Brandstiftung, Zivilcourage, Hinsehen
Verlag Suhrkamp
Ort Frankfurt am Main
Jahr 2009
Umfang 94 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 13. Aufl.
Sprache deutsch
Verfasserangabe Max Frisch
Annotation Mehr als 25 Jahre sind vergangen, seit dem ich Max Frischs Parabel der Pyromanie zum ersten Mal las. Damals stand das 'Lehrstück ohne Lehre' als Pflichtlektüre auf dem Schulstundenplan. Doch schon damals war für mich die Lektüre Genuss und keine Pflicht. Dementsprechend groß war die Freude, als mir das kleine Büchlein beim Stöbern wieder in die Hände fiel.

Beginnen wir mit der Charakterisierung der Figuren. Die Hauptperson, Gottlieb Biedermann, ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sein Geld mit der Herstellung von Haarwasser verdient. Nach außen tritt er energisch auf und hält am Stammtisch große Reden. Seine ersten Worte lauten: "Aufhängen sollte man sie (die Brandstifter)." Er gibt sich gönnerhaft, spendet der Feuerwehr eine große Summe. Doch gegenüber dem Dienstpersonal und den Untergebenen herrscht und kommandiert er. Mit äußerster Härte geht er gegen seinen Mitarbeiter Knechtling, der an einer Erfindung beteiligt werden möchte, vor: "diesem Knechtling werde ich die Kehle schon umdrehn."

Sein äußeres Auftreten steht jedoch in auffälligem Gegensatz zu seiner inneren Haltung. Biedermann fehlt die Zivilcourage. Ängstlich und 'zitternd vor Hoffnung' flieht er vor der Verantwortung. In den entscheidenden Momenten versteckt er sich hinter seiner Frau: "...meine Frau wird mit Ihnen sprechen...". Solange er Distanz zu Menschen wahren kann, fühlt er sich überlegen; im persönlichen Kontakt jedoch unterliegt er. Gegenüber den beiden Eindringlingen wird sein Verhalten durch Unentschlossenheit, Anbiederung, Egoismus und zuletzt Verzweiflung geprägt, es ist die 'verzweifelte Hoffnung opportunistischer Bonhomie', wie die Worte in der einleitenden Kurzbeschreibung treffend lauten.

Biedermanns Frau Babette genießt das luxuriöse Leben und ist vor allem darauf bedacht, nicht als spießig zu gelten. Sie ähnelt ihrem Mann in vielen Punkten. Auch sie tönt nach außen laut: "...dann aber, Gottlieb, schick ich ihn auf den Weg." Doch auch ihr fehlt im entscheidenden Augenblick der Mut zur Tat.

Dem Ehepaar Biedermann steht das Brandstifter Pärchen Schmitz und Eisenring gegenüber. Die beiden ungleichen Gesellen ergänzen sich ideal. Sepp Schmitz, ein arbeitsloser Ringer aus ärmlichen Verhältnissen, wirkt grobschlächtig und unbeholfen. Seine athletische Figur schüchtert ein: "Alle Leute haben Angst vor mir...". Seine Herkunft wird als sentimentale Tarnung eingesetzt: "Von der Köhlerhütte zum Waisenhaus".

Willi Eisenring war "ein kleiner Oberkellner, und plötzlich verwechseln sie mich mit einem großen Brandstifter". Er hält sich für gebildet: "Ich hätte studieren können", behauptet er. Seinen Kumpanen Schmitz weist er wie ein kleines Kind zurecht: "Schmitz, schmatze nicht".

Beide spielen ihre Rollen perfekt. Diese Mischung aus Komik und Ernst, Tarnung und Wahrheit verwirrt und verblüfft. Frisch zeigt, dass immer dann, wenn Worte und Gedachtes ebenso wie Worte und Handlungen nicht übereinstimmen, die gutbürgerliche, philantrope Fassade einzustürzen droht. Interessanterweise müssen die beiden Brandstifter gar nicht lügen, um zum Ziel zu gelangen. Vielmehr genügt es zunächst unliebsamen, peinlichen Fragen auszuweichen und am Ende sogar dreist die Wahrheit als Tarnung einzusetzen: "Wir sind Brandstifter".

Verschiedene Fragen drängen sich mir auf. Wann erkannte Biedermann in den beiden Gästen gefährliche Brandstifter?

Möglicherweise war ihm dies von Anfang an bewusst. Nach eigenem Bekunden schöpfte er sofort Verdacht. Aus der Zeitung war ihm ferner bekannt, dass in der Gegend Brandstifter ihr Unwesen trieben. Eine Fülle von Indizien deutete auf die Gefährlichkeit der unliebsamen Gäste hin. Der Wendepunkt des Dramas wurde erreicht, als Biedermann die Ganoven vor der Polizei deckte. Spätestens jetzt wurde sein Verdacht zur Gewissheit.

Was waren die Gründe für sein Handeln?

Biedermann gibt vor, aus Menschlichkeit und Vertrauen zu handeln. Die Wahrheit jedoch sieht anders aus. Eine gefährliche Mischung aus Angst, Unsicherheit und Profitgier sind die Hauptmotive: "Wenn ich sie anzeige, die beiden Gesellen, dann weiß ich, dass ich sie zu meinen Feinden mache ... Ein Streichholz genügt, und unser Haus steht in Flammen." Doch Biedermanns Rechnung geht nicht auf. Er und sein Haus werden von den Pyromanen nicht verschont, weil hinter den Anschlägen keine Berechnung steckt. "Die machen es aus purer Lust", warnt Dr. phil., ein Komplize der beiden.

Welche Botschaft will Max Frisch vermitteln?

Frischs Drama ist eine Anklage gegen die faschistischen Horden, die mit ihren Brandsätzen ein ganzes Land in Schutt und Asche legten. Als junger Mann hatte Frisch erlebt, welche fatalen Folgen blindes Vertrauen einerseits und ängstliches Wegschauen andererseits bewirken kann. Doch Frischs Lehrstück ohne Lehre ist zeitlos. Es warnt vor allzu leichtfertiger, argloser Gutgläubigkeit und plädiert statt dessen für ein kritisches Hinterfragen und ein mutiges Eintreten gegen totalitäre und intolerante Bestrebungen, wo auch immer in der Welt die ersten Anzeichen sichtbar werden.

Auch wenn Frisch nicht daran glaubt, dass solche Katastrophen in Zukunft ausgeschlossen werden können, so sind sie doch kein unvermeidbares Schicksal. "Aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal ... Viel kann vermeiden Vernunft."

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