Winters Garten : Roman

Fritsch, Valerie, 2015
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Medienart Buch
ISBN 978-3-518-42471-1
Verfasser Fritsch, Valerie Wikipedia
Systematik BEL - Belletristik
Schlagworte Liebe, Dystopie, verlassenes Paradies
Verlag Suhrkamp
Ort Berlin
Jahr 2015
Umfang 154 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Valerie Fritsch
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Jutta Kleedorfer;
Ein dystopisches Weltuntergangsszenario in wunderbar poetischer Sprache erzählt. (DR)
Schon zu Beginn verrät das idyllische Eingangskapitel, in dem von Anton Winters unbeschwerter Kindheit in einem Garten erzählt wird, dass dieses harmonische Aufwachsen mit Geschwistern, Eltern und Großeltern trügerisch ist: "Die Gartenkolonie war einst von Fabrikantensöhnen und Naturärzten, von schmallippigen Asketen und ein paar Gelehrten, von Bauern und hochgewachsenen Frauen mit Strohhüten gegründet worden, als der Staat sich auflöste und die Stadt trost- und der Mensch so ratlos geworden war, dass er in die Natur gehen musste, um sich zu erneuern." Später, als erwachsener Mann über vierzig, lebt Anton als Vogelzüchter in der desolaten Stadt, wo er der Marineoffizierin Frederike begegnet. Beide verfallen einander in einer bedingungslosen Liebe am Rand des Abgrunds. In einem städtischen Gebärhaus, wo Frederike um neues Leben kämpft, begegnet Anton seinem verschollenen Bruder Leander, dessen Frau Marta ein Kind zur Welt bringt. Anton erinnert sich schmerzlich an die Wahrworte seines Großvaters, der die Erde den einsamsten aller Planeten nannte, "weil hier jeder für sich allein kämpft und jeder für etwas stirbt, für das man so gerne leben würde." Zusammen fliehen sie mit dem Säugling in den verlassenen Kindheitsgarten zurück und sehen in dem inzwischen verwahrlosten Paradies ihren letzten Tagen entgegen. Am Schluss "fällt der schwarze Vorhang und es wurde nicht mehr hell".
Ein aufwühlender Endzeitroman mit einer unglaublich starken, bildhaften Sprache, die gleichzeitig Herz und Verstand anspricht und eindringlich bewusst macht, dass diese Szenarien aus Antons Welt schon längst für viele Menschen in manchen Teilen der Erde grausame Wirklichkeit geworden sind. Eine Lektüre, die emotionalisiert, irritiert und zur Auseinandersetzung mit persönlichen wie globalen Lebens- und Weltfragen anstößt.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Katja Gasser;
Meist betörend, manchmal bemüht
Valerie Fritschs Roman "Winters Garten"
Herta Müller hat einmal gesagt, dass das Kriterium der Qualität eines Textes für sie immer das eine gewesen sei: "Kommt es zum stummen Irrlauf im Kopf oder nicht."
Valerie Fritschs Roman Winters Garten trägt das Potenzial zu solch einem "stummen Irrlauf im Kopf" durchaus in sich. Die Frage ist, wie definiert sich dieser "stumme Irrlauf"? Er ist nach meiner Definition ein durch einen literarischen Text hervorgerufener Zustand des inneren In-Bewegung-Seins, ein Zustand, in dem geltende Übereinkünfte und verordnete Eindeutigkeiten mittels Sprache durchgebeutelt werden zugunsten der Verdeutlichung, der Sichtbarmachung dessen, was gemeinhin als "das Leben" bezeichnet wird: ein Zustand der Geborgenheit und zugleich Ausgesetztheit - in jedem Fall: das Gegenteil von Stillstand. Dass der so verstandene "stumme Irrlauf" auch die diesen Roman grundierende Poetologie prägt, beweist folgender Satz, der sich im ersten Viertel des Textes finden lässt: "Der Kern der Welt schien ein nucleus movens zu sein, der sich einmal in der einen und dann in einer anderen Schale versteckte."
Valerie Fritsch, geboren 1989 in Graz, wo sie als Fotografin und Schriftstellerin lebt, entwirft in ihrem Roman Winters Garten eine unwirt­liche Welt, die zunehmend aus den Fugen gerät, ein apokalyptisches Szenario.
Am Beginn aber steht der titel­gebende Garten und dieser Garten: er ist in diesem Roman die Klammer, die die gebrechliche Einrichtung der Welt zusammenhält, und das, weil in diesem Garten nichts und niemand ausgeschlossen ist. Dieser Garten ist nicht, wie man glauben könnte, eine Romantisierung der Natur als letztes gültiges Refugium - auch wenn er in seiner ursprünglichen Konzeption als solches gedacht war -, dieser Garten wird nicht gezeichnet als verbliebenes Idyll, als Ort der Erlösung, vielmehr wird er inszeniert als Ort, an dem Tod und Leben, Jugend und Alter, Verfall und Blüte, Scheitern und Gelingen, Glück und Unglück untrennbar miteinander verwoben sind: dieser Garten hat eben dadurch etwas Tröstliches. In diesen Garten hinein wird die zentrale Figur dieses Textes geboren, in diesen Garten kehrt sie schließlich auch zurück: Anton Winter. Damit ist auch der narrative Rahmen des Textes benannt: einer zieht aus und kehrt als Veränderter zurück - die Variation also eines alt bewährten und bekannten weltliterarischen Musters. Anton Winter ist ein Eigenbrötler, schon als Kind, wird später Vogelzüchter in einer geographisch unverortet bleibenden Stadt, gelegen in einem "todkranken Land". Es heißt über Anton einmal: "Er sah das Beschädigte als das Besondere. Er mochte das Schadhafte, jene Stelle, an der die Heilung aus- und eine ewige Gegenwärtigkeit einsetzte."
Von Beginn an ist klar: in diesem Text geht es ums große Ganze, um das Leben, um das Sterben und um all das, was dazwischen liegt, um die Frage nach Identität, um Liebe. Dass man lesend sogleich das Gefühl hat, hier geht jemand aufs Ganze, hängt nicht zuletzt an dem Ton, der angeschlagen wird - eine eigenwillige Mischung aus nüchtern-elegisch-hymnisch-ekstatisch; und an der auktorialen Perspektive, aus der - bis auf ein Kapitel - erzählt wird: distanziert und zugleich beteiligt. Und immer sehr nahe an Antons Blick auf die Welt: "Immer hatte er ruhig diesen Lauf der Dinge beobachtet, erst als Kind, dann als erwachsener Mann, selbst niemals krank, immer eigenartig gesund, immer staunend, immer stumm."
Das dramaturgische Movens des Textes, den unter anderem viele Wiederholungen und Alliterationen prägen, sind starke Kontraste. Dem entsprechend ist etwa das zentrale Figuren-Paar entworfen: Anton und Frederike: er, immer schon vom Tod mindestens so angezogen wie vom Leben, hat von der Welt nicht viel gesehen außer der Stadt, in der er als Vogelzüchter lebt, und den Garten, den er hinter sich gelassen hat; sie, viel gereist, ehemalige Marine-Offizierin im Krieg, jetzt Geburtshelferin. So kommt es, dass einer der wich­tigsten Handlungsorte im Roman eine Geburtsklinik ist - diese steht in Opposition zum kriegsähnlichen Zustand, zum vielen Sterben im Text. Alles hängt in Winters Garten mit allem zusammen und das ganz ohne dass Zusammenhänge geflochten werden, die dann den Figuren wie Mühlsteine um den Hals gehängt werden.
Valerie Fritschs große Begabung zeigt sich unter anderem auch daran, dass sie mit wenigen Sätzen Figuren glaubwürdig machen, zu plastischen Gestalten formen kann: wie etwa den analphabetischen Vater, der Geigenbauer ist und allein zu seinen Instrumenten große Zuneigung zu empfinden im Stande ist - seine Frau, also Antons Mutter pflegt über ihn zu sagen: "Die Geigen sind sein hölzernes Herz." Oder die Großmutter, die ihre Fehlgeburten in Gläsern in der Speisekammer neben Käselaiben und Holundersäften aufbewahrt.
Alles dreht sich in diesem Roman um die Lust am Leben, um die Freude an der Existenz trotz aller (Selbst-)Zerstörung, trotz allen unaufhaltsamen Geborgenheitsverlusts und das heißt auch: um die Lust und Freude an der Sprache: sie ist in diesem Roman die Aufrührerischste von allen Mitspielern. Sie blüht, gedeiht, wächst, wuchert, leuchtet gegen allen Verfall. Das apokalyptische Szenario wird in Winters Garten nur inszeniert, so will es scheinen, um umso deutlicher zeigen zu können: die Sehnsucht, sie ist stärker als die Hoffnung und sie überstrahlt alles. Wobei ungeklärt bleibt, worauf genau sich diese Sehnsucht richtet. Wie überhaupt vieles in diesem Roman offen bleibt, An 1633 deutung, Rätsel. Zuweilen schleicht sich ein Zuviel ein ein Überschuss an Sprachwillen, mancherorts stören wenig gelungene, allzu bemühte Bilder den Fluss. So etwa an jener Stelle, an der es über die alten Menschen im Garten schließlich heißt: "Sie wurden chaotische Akkorde, die in der Harmonie des Gartens ertönten." Oder wenn über die zwei Liebenden, Anton und Frederike, geschrieben steht: "Sie erlebten die sakralen Augenblicke der Liebe und die menschlichen, fast tierischen."
Was jedenfalls diesen Text, der ausgestattet ist mit einem hohen Maß an Autoreflexivität und Bereitschaft zu Pathos, zu einem herausragenden macht: die große Ernsthaftigkeit, mit der hier etwa auf Ironie verzichtet wird, das Risiko, sich weder auf traditionelles Erzählen noch auf dessen Negation zu verlassen zugunsten der Findung eines eigenen, von keinerlei gängigen Moden affizierten Tons. Zu den schönsten Stellen im Text zählt folgender Satz: "Während die Kinder wuchsen, schrumpften sie schon wieder und wurden klein, um durch die Ritzen zu passen, durch die man die Welt verlassen konnte." Mit Winters Garten sichert sich Valerie Fritsch ohne Zweifel den Rang, eine der interessantesten jungen deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart zu sein.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Seit Jahrhunderten gilt der Garten sowohl in seiner floristischen als auch in seiner literarischen Form als der Inbegriff für das Paradies.
Valerie Fritsch stellt in ihrem Weltuntergangs-Roman "Winters Garten" einen Anton Winter als Endzeithelden vor, der sich mit einem Garten noch eine Zeit lang hinaus rettet in den endgültigen Untergang.
Am ehesten ist eine schlimme Welt noch als Kind auszuhalten, weil das Kind prophylaktisch alles einmal unschuldig und arglos nimmt. Anton Winter hat seine Kindheit in einem Garten verbracht oder umgekehrt seine Kindheit zu einem Gartenerlebnis umfunktioniert. "Man legte das Ohr auf den Boden, um die Verstorbenen zu hören." (12) Später wird er Einzelgänger, der vom Garten nur langsam loslässt und in der Hauptsache Vögel züchtet. "Immer noch war das Leben ein Warten." (47)
Spät und unverhofft stößt Anton dann doch noch auf Frederike, die sofort die Frau seines Lebens wird. "Jeder Leib war in Haut gewickelt wie in Geschenkpapier." (60) Plötzlich beginnen die beiden, die offensichtlich bislang in ihrem Innern Wörter herum geschaufelt haben, miteinander zu reden und ab und zu überfällt sie ein Meer von Bildern, die ineinander verkrallt sind. Natürlich will Frederike ein Kind, aber für Anton ist die Weltlage zu riskant. So verbringt die Abgeblitzte viel Zeit auf den Gebärkliniken und schaut den Schwangeren zu, wie sie ihre Kinder pünktlich zum Weltuntergang hervorbringen.
Nicht nur die Welt, auch das Leben der Individuen geht dem Herbst entgegen, die Uhren sind abgeschafft, das Leben fühlt sich an wie unter Glas, plötzlich taucht der Bruder von Anton auf, er will noch einmal in den Garten. Er hat freilich seine Tochter mitgebracht, die ihm draußen in der Welt offensichtlich zugeflogen ist, jetzt haben die Endzeitmenschen auch noch ihr Kind und ziehen sich in den Garten zurück und erwarten den Winter. Tatsächlich geht die Welt unter, aber man merkt es nicht, denn in den Träumen fuhrwerkt sie als Musik fort.
Valerie Fritsch arbeitet mit dick aufgetragener Innigkeitssprache, die vor nichts zurückschreckt. Die Figuren sind in den eigenen Gefühlssedimenten eingebunkert und gehen ihrer Versteinerung entgegen. Der Garten entpuppt sich als Weltall voller botanischer Sternschnuppen und Jahreszeiten voller Milchstraßen. Ein Garten lässt sich mit allem vergleichen, er lässt sich semantisch reduzieren auf die pure Existenz, er lässt sich barock überwuchern durch Chiffren und mehrdeutige Satzteile. Der Garten ist wahrscheinlich das Ei des Lebens, voller Romantik, Schwermut und Schwerkraft. Wirklich einsame Helden tragen immer einen Garten als Außenhaut um sich herum durch die Gegend. - Ein Roman voller Einfachheit und voller Rätsel!
Helmuth Schönauer

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