Ein Tropfen Zeit : Roman

Maurier, Daphne du, 1994
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Medienart Buch
ISBN 978-3-426-60060-3
Verfasser Maurier, Daphne du Wikipedia
Systematik BEL - Belletristik
Schlagworte Reise in die Vergangenheit, Zeitdroge
Verlag Knaur
Ort München
Jahr 1994
Umfang 316 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Daphne du Maurier
Annotation Das Jahr 1969. Die Amerikaner gewinnen den Wettlauf zum Mond, am 21. Juli 1969 geht dort Astronaut Armstrong als erster Mensch spazieren. Rußland ist der Verlierer, trotzdem am 12. April 1961 Kosmonaut Gagarin als erster Mensch in den Weltraum startete. Science Fiction ist groß in Mode. Auch wenn es als Schund verschrien ist (großenteils zu recht). 'Ein Tropfen Zeit' (The House on the Strand) wird in diesem Jahr veröffentlicht (das Manuskript war bereits im August 1968 abgeschlossen). Eine Zeitreise-Geschichte? Wollte Daphne du Maurier einen Beitrag zur Modewelle SF liefern? Einige Jahre zuvor wollte sie das tatsächlich: Die Kurzgeschichte 'Der Durchbruch' sollte in einer SF-Geschichtensammlung erscheinen (dazu kam es aber nicht - du Maurier veröffentlichte sie, mit anderen Kurzgeschichten, erst 1971). Zwar beginnt diese Kurzgeschichte wissenschaftlich-spekulativ, doch am Ende zweigt sie radikal ab in religiöse Mystery. Und das 'Haus am Strand' schließlich hat mit SF so gut wie gar nichts zu tun, die Zeitdroge ist hier nur ein literarischer Kunstgriff, um zwei verschiedene Welten miteinander zu verknüpfen. Vergleichbar dem Wechsel in eine andere Identität bei ihrem vorhergehenden - die dazwischen liegenden sind nicht nennenswert - Roman "Der Mann mit meinem Gesicht" (The Scapegoat 1957).

Auch ein anderer zeitgemäßer Bezug trifft das Hauptthema nur peripher. Ebenfalls in den 1960er Jahren propagierte der US-amerikanische Psychologe Timothy Leary den Gebrauch der Droge LSD zur damit angeblich möglichen Bewußtseinserweiterung, in England hat schon ein Jahrzehnt früher der bekannte Schriftsteller Aldous Huxley diesbezüglich mit dem Rauschgift Meskalin experimentiert ('Die Pforten der Wahrnehmung'). Aber jetzt zu denken, es handle sich bei 'Ein Tropfen Zeit' um eine Drogen-Geschichte, wäre nur ein weiteres Mißverständnis. Und was die besagte Bewußtseinserweiterung betrifft, so wußte Daphne schon von Kind an: Bewußtsein ist mit Erinnerung verknüpft, dem Herkommen geschuldet bzw. die Gegenwart steht im Zusammenhang mit dementsprechenden Auswirkungen der Vergangenheit. Sie war das Kind einer Familie, die noch Wert auf Stammbäume legte. Allerdings - und das spielt hier schon eine gewichtige Rolle - war sie auch lange Zeit begeistert von den psychologischen Fantasien des Schweizer Psychologen C. G. Jung.

Der Ort des Geschehens ist Cornwall, jener uralte Südwestzipfel Englands; von Jugend an ist das Daphnes Wahlheimat, und fast alle ihre Geschichten spielen dort. Und 'das Haus am Strand' hat einen Namen: Kilmarth (nebenbei: das wäre auch ein guter 'deutscher' Titel für das Buch gewesen). Leider scheint in deutschen Ausgaben durchwegs jene im englischen Original vorhandene Karte mit den historischen Namen der Orte zu fehlen (die deutschen Leser müssen sich dann mit anderen Landkarten behelfen, oder Google Maps), manchmal auch der Stammbaum der im Roman geschilderten Familien aus dem 14. Jahrhundert (natürlich bleibt die Frage, inwieweit die erzählte Geschichte authentisch ist - Daphne du Maurier ist bekanntlich in anderen historisch motivierten Romanen immer sehr frei mit der geschichtlichen Wahrheit umgegangen). Noch kurz ein paar Daten zur genaueren Ortsbestimmung: Kilmarth gehört zum Anwesen des Herrenhauses Menabilly (Daphnes 'Manderley'), ist ca. 1 Meile nördlich davon, nahe Polkerris, mit Blick zur Süd-Küste von Cornwall; ca. 2 Meilen südlich von Tywardreath, ca. 3 Meilen südöstlich von Par. Daphne war eine eifrige Spaziergängerin, die Wege, die der Romanheld zu gehen hat, ging sie wahrscheinlich alle selbst, in Begleitung ihrer Hunde. Wen Du mal nach Cornwall kommt, magst Du es überprüfen. Im Reisegepäck sollte dann aber auch Daphnes (zwar mehr prosaischer als wissenschaftlicher) Reiseführer 'Mein Cornwall' (Vanishing Cornwall - 1967) sein. Vor der Urlaubsbuchung empfiehlt es sich weiters, zuerst zu prüfen, ob es sich mit dem alljährlich stattfindenden 'Daphne du Maurier Festival' in Fowey zusammenlegen läßt (dumaurierfestival.co.uk/).

Das Jahr 1969. Für lange Zeit konnte Daphne du Maurier in ihrem 'Traumschloß Manderley', im Herrenhaus Menabilly leben, doch der Mietvertrag endet 1969 wegen Eigenbedarf der Besitzer. Eine schmerzhafte Angelegenheit für die nicht mehr junge Schriftstellerin (*1907), auch wenn sie viele Jahre Zeit hatte, sich damit abzufinden. Bereits Anfang der 1960er Jahre wurde ihr ein möglicher Umzug nach Kilmarth nahegelegt. Das 'Haus am Strand' war immerhin auch eine stattliche Villa, aber im Vergleich zum Schloß Menabilly natürlich nur eine Holzhütte. Nach dem Tod von Daphnes Ehemann schien es jedoch eine passende Lösung, war es doch schon von alters her das Wittumhaus von Menabilly (und so geschah es auch: ab 1969 wurde 'Das House on the Strand' ihr Alterssitz). Kilmarth hatte Grundmauern aus dem 14. Jahrhundert, und Daphne begann ihre geschichtlichen Studien zu den damaligen Bewohnern. Ganz besonders faszinierte sie Isolda Carminowe, aber auch ein jüngerer Bewohner von Kilmarth: der anscheinend archäologisch tätige Professor Singer. Schließlich hatte sie zwei Ehegeschichten im Kopf als Romanthema: eine aus dem 14. Jahrhundert, eine in der Gegenwart. Keine von beiden gab ihr genug Stoff für einen ganzen Roman, aber wenn sie einen Weg fände, diese beiden Geschichten zu verbinden ...

Das Jahr 1969. Daphne wird vom englischen Königshaus geadelt zur "Dame of the British Empire". Mag sein, daß sie das nur als teilweise passend empfunden hat. Hat sie doch von Kind auf Hosen getragen, wenn auch nicht mit feministisch-revoltierenden Absichten - wie ihre Biografin Margaret Forster recht anschaulich erzählt, wollte sie, ihrem Vater zuliebe, das sein, was er sich vergeblich bei jeder Geburt erhoffte: ein Junge. Erst mit den beginnenden monatlichen Blutungen gab sie es zerknirscht auf, sich weiter wie ein Junge zu verhalten. Der Junge aber blieb Teil ihrer Persönlichkeit, selbst wenn sie ihn einsperrte. Das hatte Auswirkungen auf ihr Sexualleben, die ihr immer peinlich blieben. Im Gegensatz zu ihren Schwestern war es Daphne unmöglich, freizügig über ihre lesbischen Neigungen zu reden (in der duMaurier-Geheimsprache: 'venetianische' Neigungen). Nebenbei: Daphnes sexuelle Probleme sind auch Thema des BBC-Fernsehfilms "Daphne" (als DVD erhältlich). In ihrem zweiten Roman 'Ich möchte nicht noch einmal jung sein' (1932) versucht die junge Daphne (die gerade mal mit einem Mann und einer Frau zusammen ist) über die Sexualität im Allgemeinen zu reflektieren - in Form einer Ich-Erzählung, bei der sie jedoch ein Mann ist: Dick. Und auch in 'Ein Tropfen Zeit' schlüpft sie wieder in die Rolle des Jungen, dezent verwendet sie sprechende Namen: der Ich-Held Dick Young (mit unmißverständlicher Hindeutung zum zweiten Roman) ist mit einer Vita verheiratet, aber unglücklich. Und Vita steht für das Frauen-Leben, das Daphne als ihr Ideal ansieht, das eigentlich sehr konservativ ist, für sie aber unerreichbar. Und noch einmal reflektiert sie sanft und leise, gewissermaßen altersweise, die sexuellen Schwierigkeiten zwischen Mann und Frau - aus der Position des Mannes.

Zwar dürfen die Romane und Erzählungen der Daphne du Maurier nicht zur sogenannten Hochliteratur gerechnet werden, und auch sie selbst hat sich immer nur als Unterhaltungsschriftstellerin gesehen, aber manchmal, wenn sie wahre Geschichte und ihr eigenes Leben hineinmengt, ist sie gar nicht mal so weit davon entfernt. Und so gehört auch 'Ein Tropfen Zeit' zu ihren besten Romanen. Abgesehen von dem vielleicht etwas unglücklich gewählten phantastischen Element ist es eine durchwegs typische duMaurier-Geschichte, mit verz 6e0 weifelter Liebe, Mord und Totschlag, mysteriös und kriminell. Eine Geschichte, in der die Autorin ganz bei sich selbst ist. Und in ihrem geliebten Cornwall, dem vergangenen wie gegenwärtigen.

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