Dieses Buch gehört meiner Mutter

Hackl, Erich, 2013
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Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-257-06866-5
Verfasser Hackl, Erich Wikipedia
Systematik BEL - Belletristik
Schlagworte Mutter, Erinnerung, Würde, Vergangenheit
Verlag Diogenes-Verl.
Ort Zürich
Jahr 2013
Umfang 116 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Erich Hackl
Annotation Hackl erzählt sehr einfühlsam die Geschichten der Mutter von der Welt ihrer Kindheit und Jugend. Es sind Geschichten aus einem kleinen, abseits gelegenen Dorf in Oberösterreich, die sich ähnlich überall auf dem Lande noch bis vor 70 Jahren abgespielt haben. In einer wunderbar klaren und einfachen Sprache, mit präzisen Worten lässt der Autor die frühere Welt aufleben. Ich fühlte mich beim Lesen sofort mitten in das Dorfgeschehen versetzt, fühlte und litt mit den Personen. Fast möchte man meinen: dies sei die bessere Welt. Trotz aller schrecklichen Ereignisse sind die Erinnerungen sympathisch und einfühlsam, heiter und komisch, unmittelbar und offen. Hackl beschreibt, wie Menschen trotz Armut und Mühsal ihr schwieriges Leben und die Zeitumstände meistern. Ohne überhebliche Besserwisserei, ohne erhobenen Zeigefinger.

Mit seinem knappen Sprachstil und wenigen Worten lässt der Autor Szenen erstehen und erzählt Geschichten: "Mittendrin allerlei zahmes Getier sowie Mannsbilder, Weiberleute und Kinder, erfüllt von Fleiß, Gehorsam, Gottesfurcht und einem großen Durst nach Geselligkeit".

Die meisten Männer starben als " sie noch voll im Saft standen. Vom Heuboden gefallen, vom Baum erschlagen, vom Blitz getroffen. Gesund fortgegangen, tot heimgekommen." Für Trauer blieb wenig Zeit, die Tagesarbeit drängte und viele Worte um seine Gefühle wurden sowieso nicht gemacht - auch nicht um die Liebe. Mundfaul waren die meisten. Gernhaben und Mögen, andere Wörter hatten die Dörfler nicht für die Liebe. Dem Gegenstand angepasst macht Hackl ebenfalls wenige Worte um Gefühle, Gedanken und Ideen der Leute. Er leitet uns durch die Welt des Dorflebens, wie sie war, ohne dass wir nach Gut und Böse unterscheiden müssten.

So war es eben und es war gut so: in der Kirche saßen die Frauen "auf der einen, die Männer auf der anderen Seite. Die Kinder merkten erst bei der Predigt auf. Ihr Inhalt wurde in der Schule abgefragt. Hinten standen die Eiligen, die später kamen und früher gingen und dazwischen Wichtiges zu besprechen hatten. Beim Schlußsegen saßen sie schon im Wirtshaus."

Die Erinnerung der Mutter beginnen bereits als ihr Vater sechs Jahre alt war. Es sind wiederum Erzählungen des Großvaters, die durch die Mutter in die nächsten Generationen weitergegeben wurden. "Geschichten werden nicht erfunden, sie werden vererbt."

Hackl beschreibt die größten Unglücke, die über einen kommen konnten: sich verschulden, sich versaufen, abbrennen, alles verspielen und - das größte Unglück - ledig schwanger werden.
Auch wenn sie selbst verschuldet waren, mag man den Betroffenen keine moralische Schuld zuweisen. Es hat sich halt im Lauf des Lebens so ergeben.

Fast romantisch die Erinnerungen der Mutter an das volle Glück in der Weihnachtszeit: Schlitten fahren. Ein Rehkitz mit der Flasche aufziehen. Den Schaum vom Bierglas schlecken. Auf dem Dachboden alte Bücher finden. Aufs Christkind warten. Früh ins Bett gehen dürfen. Beten. Ein gutes Wort hören. Sich freuen. Dann war es Zeit, Geschichten zu erzählen. Diese Wonne beim Zuhören, dieses Behagen. Die Schatten in der Stube, vor dem Fenster der Schnee.

Allerdings macht das Weltgeschehen keinen Bogen um das Dorf. Die Nazizeit kommt über die einfachen Leute wie ein Unwetter. "Stell dir vor", sagte die Mutter, "jetzt gehören wir den Deutschen".

Die Zeitläufte verändern alles. Der 25-jährigen Mutter fiel der Abschied nicht schwer von dieser dörflichen Welt, in der sie doch so aufgehoben gewesen war. Die Menschen hörten der Reihe nach auf, Bauern zu sein, das Wirtshaus sperrte zu und heute ist das Dorf ein Kleinstädtchen, das öde und grau wirkt. Was man im Abschied auf immer verliert, sieht man erst später im Rückblick.

Die Erinnerung an die alte Welt wird durch das vorliegende schöne Buch wach gehalten.

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