Der Traum ein Leben : dramat. Märchen in 4 Aufzügen

Grillparzer, Franz, 1987
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Medienart Buch
ISBN 978-3-15-004385-1
Verfasser Grillparzer, Franz Wikipedia
Systematik REC - Reclam Ausgaben
Schlagworte moralischer Verfall, Ehrgeiz, Arroganz, Kraft der Phantasie, Auswirkungen von Größenwahn, Biedermeier
Verlag Reclam
Ort Leipzig
Jahr 1987
Umfang 96 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage [Nachdr.]
Sprache deutsch
Verfasserangabe Franz Grillparzer. Nachw. von Helmut Bachmaier
Annotation "Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestigt mit dauerhaften Gedanken".
(Goethe, Faust I, Prolog im Himmel)

"Der Traum ein Leben ist ein Zauberstück, [...] unerhört veredelt und vergeistigt". So formuliert es Hofmannsthal am 7.Mai 1922 in seiner Rede anlässlich der Gedenkfeier an Grillparzer in Hannover. Vielleicht hat Nooteboom auch an diesen Traum gedacht, als er Prolog und Epilog zwei Episoden umschlingen lies in "Paradies verloren". Denn Franz Grillparzer (1791-1872) zeigte diese Symmetrie in seinem dramatischen Märchen (1840) von Traum und Wirklichkeit in Versform. Der erste und der vierte Akt als Wirklichkeit umschlingen den Traum der beiden (inneren) Mittelakte. Grillparzer ließ sich inspirieren vom Stoff der Märchen, von Zauberpossen und ganz sicher auch von Calderons Stück aus dem Jahre 1636: Das Leben ein Traum.

Dieser umschlungene Traum ist der eigentliche Inhalt, die eigentliche Handlung in diesem Drama. Die schöne Lebens-Idylle ist dem jungen Jäger Rustan zu eng und vorgefertigt. Diese kleine Insel will er verlassen, von innerer Unruhe getrieben, die sich auswirkt auf das Leben zweier Liebender, Rustan und Mirza. Rustan spürt in seinen unsteten und nahezu gespaltenen Charakter aufbrechen zu müssen in die Welt der Erlebnisse und der Abenteuer. "Ich will hinabstürzen dann / in das rege, wirre Leben". Sein Sklave Zanga (als sein triebhaftes ES vertreten und doch eigenständig) verkörpert das freie Leben, die Welt der Abenteuer wird festgehalten im Inbegriff von Samarkand, der Traumstadt. ("Fort, und auf nach Samarkand!") Ein Derwisch singt das Lied von der Schattenhaftigkeit des Daseins vor dem Aufbruch und erzeugt Bilder des Traums. Sie erreichen eine Berggegend (Büchners Lenz stand Pate?), in der die ersten Heldentaten (Schlange, Rettung des Königs von Samarkand) anstehen, doch von einem anderen starken Mann erfolgen. Rustan rühmt sich selbst der Tat nach missglücktem Speerwurf und tritt somit ein in die Welt des Trugs und des Scheins. Auch wenn er durch Mord sein Ansehen gegenüber dem König und seiner Tochter retten möchte, verstrickt er sich mehr und mehr in Lüge und seine Ruhmessucht scheut vor keiner Bluttat zurück. Seine Herrschaft, durch Königsmord erlangt, wird zur Unrechtsherrschaft, er schafft sich die Zeugen seines Lebens vom Leib und doch treibt ihn die Beweislast nach dem Königsmord in die Enge, auf den Felsen, auf die Brücke, wo er seinen ersten Mord beging. Der Kreis ist geschlossen, den Tod vor Augen erwacht er aus dem beängstigend Traum und landet dort wo er herkam. Bei Mirza und ihrer Welt, die er nun geläutert ob soviel Schein und Trug in der Welt des zweifelhaften Ruhmes und der angemaßten Größe liebend gerne annimmt. Seinen Sklaven lässt er frei als letzten Strich unter die Welt von Schuld und Abenteuer. ("Zeig den Dank, indem du gehst".) Sein zweites Ich stirbt damit in dieser Sekunde; sein ES wird in ihm nun kontrolliert; seine Wünsche verfallen in der Wirklichkeit. ("Doch vergiß es nicht, die Träume, / Sie erschaffen nicht die Wünsche, / Die vorhandnen wecken sie")

Calderon ist das Vorbild für Grillparzer, allein die Umstellung der Worte im Titel ist Anlass genug, dieses festzuschreiben. Religiöse Motive wie bei Calderon mögen bei Grillparzer weggewischt und eher in die aufgeklärte Gegenwart transfiguriert zu sein. Rustan erlebt die Wirklichkeit und seinen Wunsch dieser zu entfliehen in eine andere Welt. ("Oh, nicht denken, Laß mich fühlen jetzo noch!") Dieser Wunsch wird Wahrheit im Traum und in diesem Traum durchspielt er seine Phantasie. Das irdische Sein erlebt eine neue Wirklichkeit durch eine gesteigerte Projektion in einer jenseitigen Welt und einer nachträglichen vernunftmäßigen Betrachtung. Sein Innerstes wird als Traum nach Außen gestülpt, damit es lebt und ihn aus dem Kerker seiner Befangenheit holt.

Grillparzer gelingt eine Parabel über den moralischen Verfall aus Ehrgeiz und Arroganz. Modern daran ist, heute zu erkennen, wie die Kraft der Phantasie wirkt und wie Größenwahn des Einzelnen sich in der Welt auswirkt. Aufwachen aus dem Traum und bewusst in die Wirklichkeit zurück zukommen, ist ein sehr schwieriges Unterfangen, welches der Kraft der Vernunft bedarf, Goethes dauerhafter Gedanken. Grillparzer wird mit diesem Stück ein Teil von uns, so könnte man meinen. Hofmannsthal bekennt: Er ist von den wenigen, die in uns aufstehen, wenn wir uns zu einem höheren Selbst erheben. Wunscherfüllung im Traum ist später Freuds Thema bei der Traumdeutung. Den Prozess der Ich-Bildung, der Individuation finden wir bei C.G. Jung. Nachts ist das Gehirn so aktiv wie am Tage, ist das Ergebnis der modernen Hirnforschung.

Grillparzer ist Wegbegleiter der ausklingenden Romantik. Die Zauberwelt eines E.T.A Hoffmann (Der Sandmann) und die Hinüberführung ins Biedermeier über Büchner (Lenz, Leonce und Lena) haben ihn sicher geprägt. Schillers Ideal wird hier bei ihm nochmals gesteigert durch das Bild, welches im Traum als Idee im Geiste entsteht, auch wenn es in der Wirklichkeit nicht existiert. Diese Idee verkörpert Rustan als Mensch, der den Bogen von der trügerischen inneren Unruhe zu Beginn über die übertrieben projektierte Phantasie des Traums zu einer menschlichen Vernunft im eigentlichen Dasein spannt. 46 Jahre später schrieb Stevenson über dieses Thema: Mr. Jekyll und Mr. Hyde. (vgl. Rezension kpoac)

Was Goethe den Herr zu seinen Engeln sagen lässt wird jetzt allzu deutlich

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